Erbrecht – Pflichtteilsminderung bei wechselseitigem Desinteresse?

Pflichtteilsrecht

Sofern kein Testament oder ein Erbvertrag besteht, gilt das gesetzliche Erbrecht. Die gesetzliche Erbfolge tritt ein, wenn der Verstorbene kein Testament errichtet und keinen Erbvertrag abgeschlossen hat, oder wenn die eingesetzten Erben nicht zum Zug kommen, etwa weil sie vorverstorben sind.

Die gesetzliche Erbfolge berücksichtigt gem. § 731 ABGB die Verwandten und den Ehegatten nach dem sogenannten Parentelensystem. Abhängig vom jeweiligen Verwandtschaftsgrad erben die Verwandten und Gatten nach Quoten bzw. Köpfen.

Unabhängig davon kann der/die Verstorbene im Rahmen seiner Testierfreiheit wählen, wem welche Vermögensbestandteile hinterlassen werden, wobei ihm durch das im ABGB verankerte Pflichtteilsrecht Grenzen auferlegt werden. Der Pflichtteilsanspruch steht den Anspruchsberechtigten (das sind gem. § 757 ABGB die Nachkommen (d.h. Kinder, Enkel, Urenkel etc..) sowie Ehegatte oder eingetragene Partner des Verstorbenen) grundsätzlich zwingend zu und beträgt die Hälfte des gesetzlichen Erbteils.

 

Enterbung

Dennoch gibt es familiäre Situationen, die zur Folge haben, dass der Pflichtteilsberechtigte von der Vermögensfolge ausgeschlossen werden soll. Die drastischste Maßnahme ist wohl die Enterbung. Im rechtlichen Sinn handelt es sich bei der Enterbung um die gänzliche oder teilweise Entziehung des Pflichtteils durch letztwillige Verfügung (§ 769 ABGB). Sie ist nur bei Vorliegen eines im Gesetz aufgezählten Enterbungsgrundes wirksam. Einen solchen setzt jemand, der z.B. gegen die verstorbene Person oder deren nahe Angehörige eine vorsätzliche Straftat mit mindestens einjähriger Strafdrohung begangen hat oder wer der verstorbenen Person in verwerflicher Weise schweres seelisches Leid zugefügt hat.

 

Pflichtteilsminderung

Neben der Enterbung kennt das Gesetz auch das Instrument der (weniger drastischen) Pflichtteilsminderung. So kann der Pflichtteil letztwillig auf die Hälfte gemindert werden. Dies setzt gem. § 776 Abs 1 ABGB voraus, dass zwischen der verstorbenen Person und dem/r Pflichtteilsberechtigten eine dem jeweiligen Familienverhältnis entsprechende Nahebeziehung völlig fehlte oder „über eine längere Zeit“ bis zum Tod der verstorbenen Person nicht vorhanden war. Nach einer OGH Entscheidung aus dem Jahr 2021 ist unter einem „längeren Zeitraum“ im Eltern-Kind-Verhältnis grundsätzlich ein Zeitraum von mindestens 20 Jahren zu verstehen.

Ausgeschlossen ist eine Pflichtteilsminderung, wenn das Naheverhältnis gerade deshalb fehlt, weil der/die Verstorbene am fehlenden Kontakt schuld ist (§ 776 Abs. 2 ABGB). Dies ist dann der Fall, wenn er oder sie den Kontakt grundlos gemieden hat oder es einen berechtigten Anlass für den fehlenden Kontakt gegeben hat.

Ein lediglich passives Verhalten des/der Verstorbenen reicht für die Pflichtteilsminderung weiterhin nicht aus.

Jedoch hat der OGH in einer kürzlich ergangenen Entscheidung (OGH 06.09.2022, 2 Ob 116/22f) judiziert, dass eine Pflichtteilsminderung bei wechselseitigem fehlendem Kontaktinteresse – wozu weder die Verstorbene noch die Pflichtteilsberechtigte Anlass oder Grund gegeben haben – zulässig ist, wenn sich sowohl die Verstorbene als auch die Pflichtteilsberechtigte aus Desinteresse passiv verhielten und um Kontakt zueinander nicht bemüht waren.  Damit kommt nach der aktuellen Judikatur des OGH auch bei wechselseitigem Desinteresse eine Pflichtteilsminderung in Frage.

Gerne beraten und unterstützen wir Sie bei Verfassung von letztwilligen Verfügungen wie Testamente, Legate sowie allenfalls erforderliche Enterbungen oder Pflichtteilsminderungen. Wir kümmern uns auch um die Registrierung Ihrer letztwilligen Verfügung im österreichischen Testamentsregister, um sicherzustellen, dass Ihrem letzten Willen auch tatsächlich entsprochen wird.

SSZ-Adm1n-2019