Shitstorm: Wer hetzt, der zahlt!
Verfasser: Mag. Georg Wiedmann, 07/24
kanzlei@suppan.eu
Der OGH hat in einer aktuell diskutierten Entscheidung (OGH 26.04.2024, 6Ob210/23k) die Rechte eines vom „Shitstorm“ betroffenen Opfers entschieden gestärkt. Der OGH musste sich nicht nur damit auseinandersetzen, was ein Shitstorm überhaupt ist und wer dafür verantwortlich ist. Er musste auch beurteilen, ob das „bloße“ Teilen eines Postings auf Facebook bereits ausreicht, um gegenüber dem betroffenen Opfer (vollumfänglich) schadenersatzpflichtig zu werden.
Worum ging es konkret?
Der Kläger, ein Polizist, wurde im Rahmen einer Coronademo 2021 in Innsbruck während eines Einsatzes gefilmt. Ein Dritter veröffentlichte das Video auf Facebook mit dem Kommentar: „Lasst dieses Gesicht des Polizisten um die Welt gehen. Dieser Polizist eskalierte bei der Demo in Innsbruck. Ein 82-jähriger unschuldiger Mann wurde zu Boden gerissen, verhaftet und stundenlang verhört. Dieser Polizist ist schuldig“. Tatsächlich hatte der Polizist jedoch nur an einer polizeilichen Absperrkette teilgenommen und war an der Amtshandlung gegen den 82-jährigen Mann nicht beteiligt. Der Beklagte teilte diesen Facebook-Beitrag, ohne den Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Er löschte den Beitrag selbst wieder, das Posting war aber jedenfalls sechs Tage online. Der Kläger verlangt nun Schadenersatz iHv EUR 3.000,00 für den immateriellen Schaden, der durch den Shitstorm entstanden ist.
Der Beklagte versuchte sich im Prozess vor allem dahingehend zu rechtfertigen, dass durch das isolierte Teilen des Postings kein Shitstorm von ihm ausgegangen wäre, sofern sich dadurch ein „Schneeballeffekt“ ereignet hat, sei dies jedenfalls auf das Ursprungsposting zurückzuführen.
Der OGH schloss sich der Rechtsansicht des Beklagten nicht an, sondern stärkte mit dieser richtungsweisenden Entscheidung die Rechte der Betroffenen.
Eine der zentralen Fragen des Verfahrens war, ob aufgrund eines Shitstorms im Internet, unter Verletzung von Daten- und Bildnisschutz, ein finanzieller Ersatz als immaterieller Schaden überhaupt zusteht. Dazu hielt der OGH fest, dass es sich bei dem Digitalfoto, auf dem eine Person erkennbar ist, unzweifelhaft um personenbezogene Daten handelt. Sowohl der Bildnisschutz nach dem Urhebergesetz, wonach Bildnisse von Personen nicht veröffentlicht werden dürfen, wenn dadurch berechtigte Interessen des Abgebildeten verletzt werden, als auch die allgemeinen Bestimmungen über den Datenschutz umfassen (auch) den Schutz vor den mit dem Verstoß einhergehenden Beeinträchtigungen in Form der Herabsetzung.
Spannend war vor allem die Frage, ob auch ein Einzelner für einen Shitstorm verantwortlich gemacht werden kann, zumal die Schlagkraft des Shitstorms gerade erst in der öffentlichen Schmähung durch viele (tausende) Personen liegt. Der OGH kam zu dem Ergebnis, dass ein „Schwarmverhalten“ auch einem einzelnen Schädiger zugerechnet werden kann. Es kommt in derartigen Konstellationen nicht auf die einzelne konkrete „Quelle“ der herabsetzenden Äußerung an. Eine konkrete Auswirkung des jeweiligen Postings oder des Teilens muss somit nicht nachgewiesen werden. Es ist vielmehr ausreichend, wenn ein einzelner Mitverursacher des Shitstorms zumindest fahrlässig ein Fehlverhalten setzt. Liegen bis auf den strikten Nachweis der Ursächlichkeit alle haftungsbegründenden Elemente vor, ist das „Unaufklärbarkeitsrisiko“ vom Poster und nicht vom Geschädigten zu tragen.
In diesem Zusammenhang betonte der OGH, dass eine Haftung auch bei „Weiterverbreitung“ eines Postings nur im eigenen Empfängerkreis ausreichend ist. Es muss sich also um kein öffentlich einsehbares Profil handeln. Da jede Form der Weiterverbreitung für sich bereits einen Schaden auslöst wird wohl zukünftig auch ein „Like“ eines Postings ausreichend sein, zumal damit die Zustimmung zum Posting nur bekräftigt wird und das „Like“ im Profil des Users ebenfalls für andere User ersichtlich ist. Das Ursprungsposting wird daher auch mit einem „Like“ weiterverbreitet.
Der OGH hat den Schädiger zur Zahlung eines Schadenersatzbetrages in Höhe von EUR 3.000,00 verurteilt. Die Rechte der Betroffenen werden mit dieser Entscheidung spürbar gestärkt, denn es reicht in Zukunft aus, einen einzelnen Beteiligten eines Shitstorms „festzumachen“.
Die Entscheidung des OGH ist zu begrüßen und bleibt damit am erforderlichen Puls der Zeit. Sie unterstreicht, dass soziale Medien kein rechtsfreier Raum sind. Der OGH unterstreicht damit auch die Wichtigkeit eines verantwortungsbewussten und respektvollen Umgangs innerhalb der Gesellschaft – nicht nur, aber auch in der Welt des Internets.