Arztfehler – Jedes Kind ein „Schaden“?

MAG. VERONIKA ZINTERL
Verfasserin: Mag.a Veronika Zinterl, 03/24
kanzlei@suppan.eu


 

Die langjährige Judikatur zum Thema „Arztfehler“ hat der verstärkte Senat des Obersten Gerichtshofs (nachfolgend OGH) nunmehr mit seiner Entscheidung vom 21.11.2023 zu 3 Ob 9/23d gravierend geändert und damit die Tür für allfällige Schadensersatzansprüche von Eltern, welche aufgrund eines Arztfehlers ungewollt ein gesundes Kind bekommen haben, erstmals geöffnet.

Entsprechend der bisherigen Rechtsprechung stand ein Schadenersatzanspruch nur dann zu, wenn aufgrund eines Arztfehlers ein behindertes Kind zur Welt kam. Die Geburt eines gesunden – wenn auch nicht erwünschten – Kindes stellte keinen Schaden dar. Der OGH hat mit dieser Entscheidung nunmehr die (umstrittene) Unterscheidung zwischen „wrongful birth“ und „wrongful conception“ aufgegeben und festgehalten:

„Wäre das Kind bei fachgerechtem Vorgehen bzw. ordnungsgemäßer Aufklärung der Mutter (der Eltern) nicht empfangen bzw. nicht geboren worden, haftet der Arzt (unabhängig von einer allfälligen Behinderung des Kindes) insbesondere für den von den Eltern für das Kind zu tragenden Unterhaltsaufwand.“

Demnach kann, wenn ohne den Arztfehler die Geburt unterblieben wäre, der gesamte finanzielle (Unterhalts-)Aufwand, den Eltern für ein gesundes oder behindertes Kind haben, ein Schaden im Sinne des § 1293 ABGB darstellen. Eine Differenzierung des Kindes danach, ob es gesund oder mit einer Behinderung geboren wird, verbietet sich schon deshalb, weil dafür keine sachliche Grundlage besteht. Auch das „Spiegelbild“ zur Geburt – der Tod eines Menschen – kann eine Vielzahl von Schadenersatzansprüchen begründen.

Eine Aufrechnungsmöglichkeit des Unterhaltsaufwandes mit „immateriellen Vorteilen“ (nämlich positive Gefühle und Freude aufgrund der Geburt des Kindes) verneint der OGH konsequent.

In der Praxis wird diese Rechtsprechung nunmehr bei schuldhaften Behandlungsfehlern im Zusammenhang mit medizinischen Eingriffen zur Empfängnisverhütung (zum Beispiel Vasektomie oder Eileiterunterbindung) sowie bei Pränataldiagnostik von erheblicher Relevanz sein.

Zusammengefasst: Wäre das Kind bei ordnungsgemäßer Aufklärung und/oder fachgerechter Behandlung nicht geboren worden, so kann die Ärzt:in – unabhängig von einer Behinderung des Kindes – für den Unterhaltsaufwand des Kindes herangezogen werden.

Es bleibt zu erwarten, dass die gesetzliche Mindestversicherungssumme der Berufshaftpflichtversicherung (iHv EUR 2 Millionen) – insbesondere im Hinblick auf die derzeitige Inflation und der damit verbundenen steigenden Unterhaltskosten – entsprechend angepasst wird.

Bei Fragen zur Prüfung und Durchsetzung von Unterhalts- oder sonstigen Ansprüchen, auch im Zusammenhang mit allfälligem Aufwand- oder Schadenersatz,  können Sie gern jederzeit einen Termin mit uns vereinbaren.

SSZ-Adm1n-2019